"We are still here" - eine gemeinsame Ausstellung mit Helga Hošková-Weissová (CZ) und Jana Zimmer (USA), Freiberg 2015

Helga Hošková-Weissová, Siebdruck auf Papier, 80 x 60 cm, 2015
`Vernichtung durch Arbeit` has failed. We are still here

schrieb Jana Zimmer am 9. September 2007 auf einen Zettel, den sie unter eine Gedenktafel für die Zwangsarbeiterinnen der „Freia GmbH“ am heutigen Landratsamt in Freiberg legte. Ihre Mutter war eine der 1.000 Häftlingsfrauen, die im Spätsommer und Herbst 1944 aus Auschwitz nach Freiberg verschleppt wurden, um hier Hitlers „Wunderwaffen“ für den „Endsieg“ zu bauen.

Vielen ist bis heute nicht bewusst, dass das eher kleine sächsische Freiberg in den letzten Kriegsmonaten noch zu einem der herausragenden Standorte nationalsozialistischer Weltherrschaftspläne und der „Endlösung der Judenfrage“ wurde.

Hier sollten in einem neuerrichteten Betriebsteil der ARADO Flugzeugwerke Bauteile des zu dieser Zeit modernsten Jagdbombers der Welt, der strahlgetriebenen Ar 234 B, montiert werden. Die Nazis hofften, mit dieser „Wunderwaffe“ den längst verlorenen Krieg noch in letzter Minute wenden zu können.

Die Arbeitskräfte dafür sollte die „Freia GmbH“ sichern. Das dem ARADO Rüstungswerk zugeordnete KZ Freiberg, eines der größten Außenlager des KZ Flossenbürg, brachte die geplante „Endlösung der Judenfrage“ von Auschwitz nach Freiberg. Denn die nach Freiberg verschleppten Jüdinnen waren zum Tode bestimmt. Hier gab es zwar keine Gaskammern. Das KZ Freiberg war ein Zwangsarbeitslager, kein Vernichtungsort. Das Ziel gegenüber den hier unmenschlich ausgebeuteten Mädchen und Frauen aber blieb: „Vernichtung durch Arbeit“.

„We are still here“ benennt das Scheitern des Nationalsozialismus, des „Endsiegs“ und des antisemitischen, rassistischen Irrsinns der „Endlösung“.

„We are still here“ erinnert 70 Jahre nach Kriegsende und Befreiung zornig und trotzig daran, dass die jüdischen Zwangsarbeiterinnen von Freiberg nicht aus der Erinnerung der Stadt Freiberg zu tilgen sind, so sehr es hier auch jahrzehntelang versucht worden ist.

„We are still here“ appelliert an uns alle, nicht zu vergessen.

„We are still here“ ist die Mahnung an uns Heutige, immer und überall für die Würde und Freiheit jedes einzelnen Menschen – unabhängig von dessen Herkunft, Hautfarbe und Bekenntnis – einzutreten.

„We are still here“ ist das Motto des Kunst- und Begegnungsprojekts, das aus Anlass des 70. Jahrestages von Kriegsende und Befreiung vom 11. April bis zum 17. Mai 2015 in der Freiberger Nikolaikirche und im Mittelsächsischen Theater Freiberg stattfindet.

Drei Künstlerinnen aus drei Ländern und aus drei Generationen stellen eine Auswahl ihrer Werke vor, in denen sie die Shoah und ihre Nachwirkungen, aber auch ihr Bekenntnis zu Menschenwürde und Toleranz in unserer Gegenwart verarbeiten.

Alle drei sind biografisch oder in ihrer künstlerischen Arbeit mit der jüngeren Geschichte Freibergs als Ort von Judenverfolgung und Zwangsarbeit verbunden:

Helga Hošková-Weissová, die als 14jährige eine der jüngsten Zwangsarbeiterinnen der „Freia GmbH“ war, Jana Zimmer, deren Mutter dieses Lager überlebte, und Stefanie Busch, die als junge Dresdner Künstlerin im Jahr 2013 zusammen mit Freiberger Schülerinnen und Schülern eine Gedenkwand an die Leiden jener Mädchen und Frauen am Ort des KZ Freiberg, dem heutigen Berufsschulzentrum „Julius Weisbach“ am Schachtweg, schuf.

Im Mittelsächsischen Theater Freiberg stellen wir Kinderzeichnungen aus, die als „Zeitzeugenschaft“ der nationalsozialistischen Verfolgung Einblicke in die Realität verfolgter jüdischer Mädchen geben: den Zyklus „Zeichne, was Du siehst” mit Kinderzeichnungen der 12jährigen Helga Weiss aus dem Ghetto Theresienstadt und die Theresienstädter Kinderzeichnungen von  Marketa Zimmerová, der in Auschwitz ermordeten Halbschwester von Jana Zimmer.

Dr. Michael Düsing

Leiter der Geschichtswerkstatt der Eckert-Schulen in Freiberg

Hier können Sie das PDF des Ausstellungskataloges downloaden.

Interview zwischen Dr. Michael Düsing und Stefanie Busch

Sie haben 2013 am Ort des damaligen KZ Freiberg, im heutigen BSZ "Julius Weisbach", eine Erinnerungswand an die Zwangsarbeiterinnen dieses Lagers gestaltet. Ihre Arbeit "Ihnen" bezieht sich auf eine Geste. Was meinen Sie mit dieser Geste?

SB: Gemeinsam mit Schüler_innen des Berufschulzentrums habe ich im Projekt ORTSBEGEHUNG von Weiterdenken, der Heinrich Böll Stiftung Sachsen in den Jahren 2012/2013 an der Realisierung einer Gedenkwand für die 1000 jüdischen Frauen und Mädchen des KZ Freiberg und einer Ausstellung zu Täter*innen in Freiberg gearbeitet. Auf dem Gelände der Schule war einst ein KZ Außenlager des KZ Flossenbürg. Die Geste, von der Sie sprechen bezieht sich auf das Wort „IHNEN“, das zentral auf der Gedenkwand steht. Es soll einerseits im Singular die je einzelne Verfolgte ansprechen. „Ihnen gilt dieses Denkmal“. Andererseits soll es „IHNEN“ gedenken, den 1000 jüdischen Mädchen und Frauen im Plural. Da in Zukunft wegen der vorangeschrittenen Zeit die Überlebenden nicht mehr nach Freiberg kommen werden gilt das Denkmal auch Ihnen: Ihren Angehörigen. Zwei der überlebenden Frauen waren zur Eröffnung der Gedenkwand da: Helga Weissova Hoskova und Lisa Mikova aus Prag.

Sie zeigen in der Freiberger Ausstellung "We are still here" ein Portrait der Künstlerin Helga Hosková. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

SB: Durch meine Begegnung mit Helga Hošková im Heute, mit dieser Geschichte...Das wird für mich immer etwas ganz Besonderes und etwas tief Berührendes bleiben. An der Gedenkwand in Freiberg haben wir mit einem erschreckenden Zitat aus ihren Tagebüchern eines jungen Mädchens gearbeitet-in dieser gemeinsamen Ausstellung in der Nikolaikirche möchte ich ein Portrait dieser erwachsenen Frau zeigen, die überlebt hat.

Sie sind lange nach dem Krieg und der Shoah geboren. Was bewegt Sie, wenn Sie heute mit einer Überlebenden aus Prag und der Schwester eines in Auschwitz ermordeten Mädchens und Tochter einer Zwangsarbeiterin in Freiberg zusammentreffen?

SB: Alles. Es ist etwas sehr Besonderes, Menschen mit dieser Geschichte treffen zu können. Allerdings ist es sehr schwer für mich, Fragen zu diesem Abschnitt des Lebens zu stellen, obwohl Helga sehr offen damit umgeht.

Was verbindet Ihre so unterschiedlichen künstlerischen Handschriften? Verbindet sie etwas?

SB: Wir alle drei haben uns für die Kunst entschieden- das ist unser gemeinsames Thema. Es gibt keine wirklich biografische Verbindung zwischen den beiden Frauen und mir. Die Stadt Freiberg verbindet uns. Helga war als junges Mädchen hier als Zwangsarbeiterin, Janas Mutter ebenfalls. Und ich habe hier gemeinsam mit den Schüler*innen an der Gedenkwand gearbeitet, Helgas Tagebücher und Zeichnungen kennen gelernt und bin ihr und Lisa Mikova dann bei der Eröffnung 2013 das erste Mal persönlich begegnet. Seit dem habe ich sie mehrere Male in Prag besucht. Mit Jana schreibe ich mir in Vorbereitung unserer Ausstellung Emails, kenne inzwischen ein wenig ihre Geschichte und ihre künstlerischen Arbeiten und freue mich sehr auf unsere persönliche Begegnung und unsere gemeinsame Ausstellung.

Sie leben in Sachsen. Wir erleben neue Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus, aber auch die Solidarität der Mehrheit für eine offene Gesellschaft. Wie beeinflusst das Ihren Alltag und Ihre Arbeit?

SB: Diese neue Welle der Aggressionen, des wieder erstarkten Rassismus und Antisemitismus machen mich wütend. Das Schicksal der Geflüchteten beschäftigt mich ununterbrochen, und ich suche nach Wegen, gemeinsam mit ihnen Alltag zu leben und für sie da sein zu können. Es fällt mir im Moment schwer, mich auf die künstlerische Arbeit zu konzentrieren, da diese veränderte und verschärfte Situation meine ganze Aufmerksamkeit fordern und ich mich frage, wie ich mich als Künstlerin verhalten kann.

Denken Sie, dass Ihre künstlerische Arbeit etwas in Ihrer politischen Umwelt bewirken kann? Wenn ja, was?

SB: Nein, das denke ich nicht. Meine Arbeit ist nicht vordergründig politisch. Viellicht kann sie sensibilisieren, zwischen der Ohnmacht.