„Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten"

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Silke Wagler, 2008

„Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten“ schreibt schon Walter Benjamin.i Und Geschichte wird in unserer Erinnerung als eine Fülle von sich überlagernden und sich wandelnden Einzelbildern bewahrt - das betrifft persönliche Erlebnisse ebenso wie kollektives Erinnern. Das eine wie das andere ist immer wieder Gegenstand der Auseinandersetzung zeitgenössischer Künstler zur Positionsbestimmung in ihrer Zeit und ihrer Gesellschaft. So auch in den aktuellen Arbeiten von Stefanie Busch, die dabei einen ganz individuellen Weg beschreitet.

Jahrgang 1977, aufgewachsen in Ostdeutschland, erlebt sie in ihrer Jugend die auf den Mauerfall folgenden Umbrüche mit allen Chancen und Unsicherheiten. Seit Mitte der 1990er Jahre reist sie immer wieder – und bis heute magisch angezogen – in die verschiedenen Länder Osteuropas, in den letzten Jahren vor allem in das ehemalige Jugoslawien. Die Begegnung mit dortigen Künstler ihrer Generation schärft ihr Bewusstsein um die eigene Zeitzeugenschaft.
Das eigene biografische Glück des noch vergleichsweise gemäßigten Übergangs in ein neues Gesellschaftssystem und das Wissen um die viel gewaltigeren und von Bürgerkrieg begleiteten Veränderungen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens wecken ihr Interesse und werfen gleichzeitig viele Fragen auf. Die Künstlerin setzt sich im Kontext ihrer neuen Arbeiten mit der überaus komplizierten Geschichte des multiethnischen Staates und seiner Konflikte auseinander. Ihr Interesse rührt aus der Faszination für einen ehemals visionären, modernen und emanzipierten Staat, hin zu einem Jugoslawien, das heute in sieben Republiken zerfallen ist –mit offenem Ende.

Wie es schon ihrer Arbeitsweise bei früheren Werkgruppen entsprach, dienen der Künstlerin auch hier eigene Fotos als Vorlagen. Stefanie Busch greift auf ein umfangreiches Bildarchiv zurück, das auf den zahlreichen Reisen in das ehemalige Jugoslawien entstanden ist. Aus diesem fotografischen Skizzenbuch erstellte sie 2007 zum Beispiel die Fotoserie „Seltsame Materie“ und montierte „inbetween“, einen aus insgesamt 7000 Einzelbildern zusammengesetzten Film, deren rasche Aufeinanderfolge ein lebendiges, subjektives und zugleich schwer greifbares weil stets flüchtiges Porträt des westlichen Balkans zeichnet.

Die Sammlung ungezählter Fotografien diente und dient überdies auch als Bildquelle für die neuen Folienmontagen in Leuchtkästen. Dabei löst die Künstlerin formal spannende Fragmente aus den fotografischen Erinnerungsbildern, die sie zu neuen Arbeiten inszeniert. Diese abstrakten Bruchstücke werden dann in transparent graue Folien geschnitten und auf einer Acrylglasscheibe collageartig angeordnet wobei bis zu 10 Schichten übereinander gelegt werden. Das eigentliche Bild wird erst im Lichtkasten im Moment der Hinterleuchtung sichtbar. Diese deutliche Referenz an die Arbeitsweise von Cuttern und Filmvorführern ist wiederum auf einen biografischen Einfluss zurück zu führen: auf die langjährige Tätigkeit als Filmvorführerin.

Das Licht ist integraler Bestandteil sowohl ihrer Folienschnitte als auch der Siebdrucke auf Acrylfolie. In diesem wie jenem Fall bedient sich Stefanie Busch der Ästhetik der Medien Film und Fotografie sowie deren Vermittlerdiensten. Die Bildwelten der Künstlerin sind zudem konsequent schwarz-weiß, womit die Betrachter aufgrund ihrer Seherfahrungen auch auf der technischen Ebene Vergangenes und Erinnertes assoziieren. Im bisherigen Schaffen dominierten Landschaften und Motive aus der Natur, die leicht abstrahiert, malerisch komponiert in scharf geschnittenen Bildern in klaren Weiß-Grau-Schwarz-Tönen umgesetzt wurden. Heute sind ihre motivischen Ausgangspunkte eher – im oben erwähnten Bildarchiv vorgefundene – Bilder von Siedlungsorten und vom Menschen geformte Umwelt, bei deren Verarbeitung es mehr um Einsichten als um Ansichten der sichtbaren Welt geht. Das findet seine formale Entsprechung auch in der bildhaften Umsetzung. Die in die transparenten Folien geschnittenen Wirklichkeitsfragmente werden auf dem Acrylglas übereinander geschichtet. Dadurch verdichten sich die Grautöne an manchen Stellen bis zu einem fast undurchsichtigen Schwarz während andere Bereiche hell und klar bleiben. Die Palette der Grautöne zwischen Schwarz und Weiß scheint gegenüber den früheren Werken deutlich erweitert.
Letztlich geben auch diese Bilder ihre flirrende Welt erst preis wenn Licht da ist; ähnlich wie beim Röntgen, dienen die Leuchtkästen hier dazu, äußerlich nicht Sichtbares sichtbar zu machen. Aber selbst dann bleiben die subjektiven Bildwelten Stefanie Buschs vage. Sie sind Abbild einer individuellen Spurensuche, ein Dokument eigener Befindlichkeit und künstlerischer Kommentar gleichermaßen.

i Hier zitiert nach Cornelia Brink: „Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten“ Photographie, Geschichte, Gedächtnis. In: Wolfgang Hesse/Katja Schumann (Hrsg.): Mensch! Photographien aus Dresdner Sammlungen, Marburg 2006, S. 46-56, hier S. 46.


"History breaks down into images, not into stories"

Silke Wagler, 2008

"History breaks down into images, not into stories" wrote Walter Benjamin. And in our memories history is upheld as a host of overlapping and changing individual images – both as regards personal experience and collective memory. Both are subjects addressed again and again by contemporary artists seeking to position themselves in their own time and society. Thus also in the current work by Stefanie Busch, who has chosen an entirely individual approach.

Born in 1977, during her youth in East Germany she experienced the period of change after the Wall came down with all its opportunities and uncertainties. Since the middle of the 1990s she has continued to travel, magically drawn to the various countries of Eastern Europe, over the last few years chiefly to the countries of former Yugoslavia. Encounters with artists of her own generation there have sharpened her consciousness of being a witness to history.
Her own good fortune of having lived through a relatively moderate transformation towards a new system together with the awareness of the far more violent changes accompanied by civil war in former Yugoslavia both wakened her interest and at the same time raise a number of questions. In the context of her new work the artist examines the exceptionally complicated history of the multiethnic state and its conflicts. Her interest stems from a fascination with a formerly visionary, modern and emancipated state extending to a Yugoslavia that has today disintegrated into seven republics – with an open end.

As with her earlier series of works, the artist uses her own photos as a resource. Stefanie Busch draws on the extensive archive of pictures created in the course of her numerous journeys to former Yugoslavia. She used this photographic sketchbook for example in the 2007 photo series "Seltsame Materie" and when editing "inbetween", a film composed from altogether 7000 individual images and drawing a portrait of the Western Balkans that is lively, subjective and at the same time so fleeting that it is hard to grasp.

The collection of countless photos also continues to serve as an image source for the new transparency montages in light boxes. Here the artist has taken formally exciting fragments from the photographic memory and used them in the production of her new works. The abstract fragments are then cut from transparent grey film and arranged collage-like on an acrylic glass panel with up to 10 layers overlapping one another. The real picture only becomes visible in the light box at the moment of illumination. This clear reference to the work of cutters and film projectionists again leads back to a biographical influence: the many years she spent as a film projectionist.

The light is an integral component both of her cut-outs and the screen-prints on acrylic film. In both cases Stephanie Busch deploys the aesthetics of film and photography as well as their capacity to convey a message. The image worlds the artist creates are moreover consistently black and white, so that on a technical level too viewers' past visual experiences lead them to associations with memories and the past. Her previous works have been dominated by landscapes and subjects taken from nature, shown in slight abstraction and arranged to form compositions of sharply cut pictures in clear shades of white/grey/black. Today, her topics tend to emerge from images in the picture archive mentioned above – pictures of human settlements and environments shaped by man, whereby her concern is more with insights into rather than views of the visible world. This finds a formal correspondence in the pictorial form which the images are given. The fragments of reality inscribed into the transparent sheets of film are stacked on the acrylic glass. The grey shades thus become more intense to the point of an almost opaque black in some areas while other parts remain bright and clear. Seen in the context of earlier works the palette of grey shades between black and white appears noticeably more extensive.
In the final event, these pictures only reveal their flickering world in the presence of light; as with the x-ray machine, the light boxes serve to make apparent things which are invisible from the outside. However, Stefanie Busch's subjective image worlds remain vague even then. They are at the same time the reflection of an individual search for clues, a document of her own state of mind and an artistic comment.